Donnerstag, 23. Januar 2014

Dezembernachtrag Teil 2

Der folgende Text erschien in der Weihnachtsausgabe der CBN. Am 11. November war ich zu Gast auf einem Gambafischerboot, womit ein lang gehegter Wunsch von mir in Erfüllung ging. Das meine ich vollkommen ernst: Ich wollte schon seit Jahren mal mit einem Boot so richtig weit rausfahren. Deswegen habe ich mich direkt freiwillig gemeldet, als das Thema aufkam. Um drei Uhr mussten Ángel (Fotograf) und ich aufstehen, um fünf Uhr brachen wir im Hafen von Jávea auf. Es war wirklich der Hammer! Wie man aus dem Text vielleicht rausliest, war mir die ganze Zeit speiübel, und zwischendurch wurde ich auch mein karges Frühstück los, aber es hat sich für mich trotzdem total gelohnt, die Erfahrung war wirklich Gold wert! Die Bilder sind teils von mir, teils von Ángel gemacht worden und sind nicht die, aus dem Originalartikel. Wundert euch nicht allzu sehr über die Schreibweise, eine Reportage zeichnet sich dadurch aus, dass man einen jeden Sinneseindruck festhält und ich kann meine Begeisterung halt nicht so beschreiben, wie ich es hier zu pflegen tue. 






Auf der Jagd nach Gambas


Die Wellen rauschen, der Motor röhrt. Am Horizont schimmern die Lichter der Leuchttürme, letzte Grüße von der Küste. Die Luft weht rau und salzig. Vor uns liegt nur die Dunkelheit des tiefschwarzen Meeres, auf dessen Wellen sich hin und wieder das Licht des Bootes spiegelt.
Die Cap Prim Segon macht sich auf die Jagd nach Gambas. Die schmalen Krebse gelten in Spanien insbesondere an Weihnachten als Delikatesse. Kurz vor den Festtagen schnellen Nachfrage und Preis in die Höhe. Um den Tierchen auf die Fersen zu rücken, schlägt Kapitän Amadeo Ros mit seiner Crew jeden Tag zu ungemütlicher Stunde den Weg in die ungestüme Wildnis der offenen See ein, und ist damit nicht allein. Wie ein Wolfsrudel schwärmen fünf andere Boote von verschiedenen Häfen aus.
Um 5 Uhr hat das Fischerboot im Hafen von Jávea abgelegt, seitdem schaukelt es auf den unbarmherzig rollenden Wellen auf und ab; nichts für schwache Mägen. „Ist alles in Ordnung?“, fragt Ros mit einem schiefen Grinsen im Gesicht. Mit Mühe ringe ich mir ein Nicken ab und konzentriere mich wieder auf die Lichter, das Einzige hier, das einen Horizont abzeichnet. „Calp, Moraira, Jávea, Dénia“, sagt Ros und zeigt nacheinander in Richtung der Leuchttürme.
Die übrige Crew macht sich bereit, um noch etwas Schlaf zu bekommen, bevor man weit genug draußen ist, um die Netze auszuwerfen. 30 Kilometer geht es heute raus aufs Meer. Beim dröhnenden Lärm der Schiffsmotoren machen es sich Batit Ros, zweiter Mann an Bord und Bruder des Kapitäns, und Vicent Catalá, der Schiffsmechaniker, unter Deck gemütlich.
Es ist noch immer dunkel, als sie wieder geweckt werden. Jetzt geht alles ganz schnell: Die Männer machen sich daran, das Netz in die schäumende See zu lassen. Um sich vor dem Lärm der tosenden Maschinen zu schützen, setzen sich Batit Ros und Vicent Catalá Ohrenschützer auf und beginnen, mit routinierten Handgriffen die Maschinen zu bedienen, die die Abwicklung der Stahlseile von zwei riesigen Winden justieren. 20 Minuten wird es dauern, bis die Gewichte das Netz auf den Meeresgrund in 700 Metern Tiefe gezogen haben.
Währenddessen geht am Horizont langsam die Sonne auf. Das Festland im Rücken zeichnen sich allmählich dunkle Formen über dem Meer ab. „Da vorne liegt Ibiza“, erklärt der Kapitän. Der Wind klärt die Luft und gibt die Sicht auf die Insel frei, gegenüber zeichnet sich die Küste mit dem Montgó sowie der Punta de Moraira und dem Peñón d’Ifach mit der Aitana im Hintergrund ab. In einiger Entfernung schießen Delfine immer wieder aus dem grauen Nass und wieder hinein. Unablässig weht der salzige Wind, der Blick fällt auf die zerfetzte spanische Bordflagge.

Ein grauer Tag bricht an
Nach vorerst getaner Arbeit setzen sich die Männer aufs Deck, halten einen Plausch über die Familie, die Nachrichten, das Wetter, scherzen über meine fehlende Gesichtsfarbe. In diesen Momenten scheint es ein Job zu sein, wie jeder andere. Doch dann ist das Arbeitsumfeld doch wieder zu sehr durch das Meer und seine Eigenarten geprägt. Als der Tag grau über dem Meer angebricht, schleppt sich mit gespenstischer Statik ein riesiger Gastanker an uns vorbei.
Seit 1985 ist Amadeo Ros nun als Fischer tätig, bereits zwei Jahre später wurde er Kapitän. Damals waren die Fisch- und Meeresfruchtbestände noch reicher, wenn auch Flora und Fauna unter Wasser noch mehr unter chemikalischer Kontamination durch Abwässer zu leiden hatten. Doch der Fischfang wurde beliebter, die Überfischung nahm zu. Heute ist es Profis wie Ros per Gesetz verboten, im September die Netze auszuwerfen, denn in diesem Monat sollen sich die Bestände erholen.
Das Fischen – ein Familienberuf, wie Ros beschreibt. Er erbte ihn einst von seinem Vater, genau wie dieser vor ihm. Der Job gefalle ihm sehr. Das glaubt man ihm sofort. Kein Mann der vielen Worte, geht doch eine stille Begeisterung von dem „Patrón“ aus.

Die See als Heimat
Auf die Rentabilität hin gefragt, seufzt der 50-Jährige schwer. Sie sei schon in Ordnung, aber reich werde man davon nicht – für den Verbrauch von bis zu 1.000 Litern Treibstoff täglich muss Ros circa 800 Euro einberechnen. Dabei ist dieser bereits von der Europäischen Union subventioniert. Dazu kommt die Hypothek für das Boot, die der Kapitän seit 2003 abbezahlen muss. Weitere fünf Jahre lang wird er sie noch tragen müssen. Bis dahin geht es bei Wind und Wetter hinaus in die See.
Selten wird es dem kernigen Seemann zu ungemütlich. „Je nach Wetterlage ist das natürlich auch ein gefährlicher Job“, führt er aus, „aber dass wir nicht rausfahren, passiert nicht oft, vielleicht vier, fünf mal im Jahr.“
Während er so erzählt, wird in der Küche gewerkelt und das Mittagessen vorbereitet. Bei einem Teller voller verschiedener Meeresfrüchte und Kartoffeln sitzt die Crew bald zusammen, erzählt, isst und schmatzt. Auch ich würde gerne daran teilhaben, aber das Auf und Ab des Schiffes scheint meinem Magen noch immer nicht geheuer zu sein.
Amadeo Ros schaut vorbei und legt nochmal eine Schippe Süffisanz auf, als er der jungen Frau von der Zeitung grinsend rät, die Windrichtung bei der Wahl der Relingseite zu bedenken. „Nur für den Fall“, lacht er.
Einige Zeit später ist es endlich soweit – das Netz kann eingeholt werden. Batit Ros und Vicent Catalá ziehen sich gelbe Schutzhosen über und stellen sich, wie zuvor, hinter die mit Rost und Salz bedeckten Maschinen, kurbeln, drücken, rufen – immer mit Blick in Richtung Heck. Mittlerweile folgt ein großer Schwarm kreischender Möwen dem Schiff auf Fang.


Unter heftigem Schaukeln des Bootes ringen die Seeleute dem Meer den Schatz ab. Zu allen Seiten spritzt braun-beiges Nass. Zehn Minuten dauert es, bis das Netz zum Vorschein kommt. Einzelne Möwen stürzen sich bereits in die Fluten, um ihren Anteil zu erschnappen. Die massiven Gewichte werden nun vom Kapitän und Catalá an den Seiten des Schiffes festgemacht, während Batit Ros den Fang mit dem Schiffskran an Deck hievt.
Amadeo Ros geht einen Schritt auf das Netz zu und löst den Knoten. Eine Ladung verschiedenster Meerestiere ergießt sich über das Deck: Fische, Aale, Krebse, Muscheln, kleine Haie und natürlich: Gambas. Die drei Männer knien sich nieder und beginnen, die Tiere zu sortieren und den Müll heraus zu pflücken, der leider einen großen Teil des Fangs ausmacht: Flaschen, Tüten, Dosen, Verpackungen – am Ende des Tages wird ein großer Eimer voll sein.
Die Tiere je eines Schlags werden derweil in blaue Kisten gelegt, dabei werden sie immer wieder mit kaltem Wasser abgespritzt, was der Hygiene dient. Was nicht verkaufsfähig ist, wird zurück in die See geschmissen, wo sich sogleich Möwen hinterher stürzen.
Die Sortierung wird immer präziser, bis die Fächer schließlich mit Eis aufgefüllt werden. Die Tiere werden noch am selben Tag in der Lonja in Jáveas Hafen bewertet und verkauft. Ich frage Amadeo nach der Größe des Fangs. „15 Kilo vielleicht“, sagt er mit ärgerlicher Miene, „das ist wirklich nicht sehr viel. An guten Tagen fangen wir mehr als das Doppelte“. Langsam treten wir den Rückweg an.
Der Kapitän führt mich an einen weiteren Eimer heran. Ich stutze – Steine? „Das ist Kohle!“, erklärt Ros, und wendet einen mit Sand und Seetang bedeckten Klumpen in der Hand. „Damit fuhren die Schiffe hier bis in die 70er Jahre hinein“ – echte Relikte aus früheren Zeiten.
Skurrilitäten wie diese ziehen die Fischer regelmäßig aus dem Meer. „Wir haben schon alles gefangen, was man sich vorstellen kann: Computer, Amphoren aus der Antike, eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg, Teile eines Flugzeugflügels...“. Einmal sei ihnen ein U-Boot ins Netz gegangen – das habe das Boot eine halbe Stunde lang mitgezogen, bis der Unfall bemerkt worden sei. Seemannsgarn? Die Welt auf See ist dem Alltag an Land so fremd, dass keine Zweifel aufkommen, dass Vorfälle, wie dieser passieren.
Die Küste kommt immer näher und die See wird wieder ruhiger. Im Hafen angekommen, wird das Schiff behutsam am Steg geparkt. Ein Dutzend Leute warten dort bereits. „Pablo, mein Guter, ich hab’ hier deine Gambas!“, ruft Amadeo einem älteren Herren freudig zu. Als wir von Bord gehen, nickt Batit lachend zu mir rüber. „Oh schau! Die hat ja wieder Farbe!“
Die Kisten mit den Tieren werden zur Markthalle des Hafens gebracht, wo bereits einige Fischer auf die Berechnung ihres Fangs warten, andere kommen, wie wir, gerade erst an. Auf einem Fließband beäugen Käufer und Verkäufer die Produkte, während auf Monitoren die Preise angezeigt werden. Für 130 Euro das Kilo wird der Gambafang der Cap Prim Segon verkauft.
Unterdessen fährt draußen Batit Ros mit einem Transporter vor, auf dessen Ladefläche eine große Winde steht. Mit Hilfe von Amadeo Ros und Vicent Catalá zieht er das Netzende vom Boot und befestigt es an der Winde auf dem Auto, die nach wenigen Handgriffen beginnt, das Netz vom Boot abzuwickeln. „Es muss repariert werden“, erklärt der Kapitän, „alle paar Wochen machen wir das.“ Ein Letztes möchte ich noch wissen und frage, was er an Weihnachten isst. „Bestimmt keine Gambas!“, lächelt er, „mal sehen, vielleicht gehe ich mit meiner Familie ins Restaurant.“

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Damit hätten wir auch den Dezember fertig! :) Weiter geht´s mit Comics und aktuelleren Geschichten - da ich nächste Woche kein Internet haben werde, habe ich viel Zeit dafür. Hasta Luego!
Ich und Ángel. (So sieht Prominenz aus!)