Mittwoch, 19. März 2014

P.S.: Drei Wochen hier…

Der folgende Text wurde in der letzten Novemberwoche 2013 geschrieben. Leider habe ich es damals, trotz Ankündigung, versäumt, ihn zu veröffentlichen. Er ist sehr persönlich, aber ich schätze ihn dennoch als wichtig ein (auch ein bisschen in Hinsicht auf die kommenden Texte).


… und Sherlock Schraubi ist immernoch am überlegen, was den großen Unterschied ausmacht, die große Veränderung, die die Leute mitmachen, wenn sie ins Ausland gehen. Ich will euch ein bisschen was von dem erzählen, was mir bisher darüber so im Kopf herumschwirrte. 

 
Es war vor circa zwei Wochen, als ich einen kleinen Rückschlag erfuhr. Das war weiter nichts Schlimmes, ich hatte mich eigentlich nur blöd angestellt. In gewohnter Umgebung hätte ich mich es einer Freundin erzählt, die hätte mir Trost zugesprochen, wir hätten uns darüber kringelig gelacht und ich hätte weitergemacht. Mit einer kleinen Verzögerung hätte ich mich bei jenen, vor denen es mir unangenehm war, gemeldet und wäre stark das nächste Treffen gegangen.
Was jedoch passiert ist, war Folgendes:  Ich fing an, mich selbst zu bemitleiden. Ich merkte, dass mir meine Freunde fehlen und: Ich hatte keine Zeit, um darüber auch vor den anderen Gras wachsen zu lassen. Wenn man gerade Mal ankommt, kennt man so Wenige, dass es eben meistens die Leute sind, denen man täglich begegnet. Das heißt, im Endeffekt war mir das übertrieben unangenehm und ich konnte mit der Situation nicht so gut umgehen. Madame Extrovertiert blieb zweifelndzuhauseund zog´ne Schnute. Und dieser banale Anlass reichte für´s Erste bereits. Ich fragte mich, wie blöd ich sein konnte, mein Zuhause zu verlassen und all die geliebten Menschen, die mich bei so etwas normalerweise auffangen.Da ich mich kurz bevor ich fuhr seit langem wieder so richtig wohl gefühlt hatte, ärgerte ich mich, wie ich das wegwerfen konnte. Die Sprache war plötzlich ein unüberwindbares Hindernis, sodass ich für ein paar Tage zu gehemmt war, um überhaupt etwas auf Spanisch zu sagen.Alle die Visionen und Vorstellungen, die mich vorher dazu beflügelten, schrieb ich ab ­ - ich glaubte zu wissen, dass es so oder so Naivität sein musste, die mir vorher im Kopf umherging. 
Frustriert erkannte ich, dass man als weißes Blatt Papier zu den Leuten kommt. Theoretisch hat man alle Möglichkeiten, jemand anderes zu werden und das unter Umständen sogar, ohne es zu merken. Eine Self-fulfilling-prophecy, die niemand hier aufhalten kann. Hier gibt es nicht die dritten Personen, die man vorher schon kannte, und die dir vor einer neuen Bekanntschaft und dir selbst das Selbst reflektieren, das dich mit der Person einmal hat Freund werden lassen.
Mir wurde klar, dass man so kein Land gewinnt und dass man sich den unangenehmen Situationen stellen muss, dass ich nicht perfekt sein kann, dass ich gewinne, was ich ausstrahle und dass das in meinem Fall niemals jemand sein kann, der sich versteckt oder dem ein aufs cool-rüberkommen ankommt (wie ihr merkt steht das ziemlich unten auf meiner Prioritätenliste). Also hab ich, mit einem kleinen Arschtritt und – neu-entdeckte Lösung  - mit Sport ein bisschen Ruhe gewonnen und konnte mich so auf andere Dinge konzentrieren. Wie das immer so ist: Wenn man nicht ständig daran denkt, wie es einem so geht, geht es einem meistens besser.
Und irgendwann die Tage kam mir alles schon fast routiniert vor, da dachte ich „Das ist doch echt gar nicht so schwer! Ist doch eigentlich beinahe wie in Deutschland!“. Um nun auf die Ausgangsfrage zurückzukommen – und ich weiß, dass ich sie nicht richtig beantworten werde – ich glaube, wenn man mal seinen Dämonen ausgesetzt ist, kann das sehr aufschlussreich und gut für einen sein. Wahrscheinlich gewinnt man an Ruhe und an der Fähigkeit, sich auf das konzentrieren zu können, was man gemeinhin als „das Wesentliche“. Keine Sekunde glaube ich, dass Einsamkeit mir gut tut. Aber ich muss es hier allein auf die Kette kriegen und wenn ich mich nicht dauernd selbst frage, wie und ob ich das anstelle, dann sehe ich plötzlich, dass ich schon längst dabei bin.  Ein bisschen, als würde man mit geschlossenen Augen eine Schwelle überschreiten.
„Zu sich selbst finden“ ­­ - Ich hielt das eigentlich für eine abgedroschene Redensart, die von Menschen kommt, die geplagt sind von ständiger Unsicherheit, die sich einreden (lassen), nicht zurecht zu kommen und dann auf der Suche nach einer Formel, die ihnen ihre persönliche Lösung heranträgt, die TV Hören und Sehen aufschlagen und dort irgendwas, wie "Yoga machen" oder "Öfter mal lächeln" lesen. Nein, ich will das alles nicht vereinfachen. Worauf verlässt man sich, wenn es hart auf hart kommt?
Es gibt Leute, denen hilft Yoga zB ja tatsächlich. Denkbar ist auch, dass sich der Rat, öfter mal zu lächeln an jene richtet, die diese kleine Zeile zum Anlass nehmen, sich selbst zusammenzureißen und tatsächlich mal mit Milde und Optimismus an die alltäglichen Probleme heranzutreten. Ob das dann die Momente sind, in denen man sich selbst findet, bezweifle ich wohl. Denn das können nicht jene Momente sein, in denen alles tutti ist und man sich auf sich selbst konzentrieren kann. Das wäre doch auch zu einfach. Nicht das Ei des Kolumbus, aber: es zu einem großen Teil wirklich diese Momente, in denen wir ins Fremde treten, unsere Comfort-Zone verlassen.
Der Verlust der Vertrautheit ist nicht etwas Territoriales, oder etwas, an dem sich deine Motivation erproben muss,  es ist viel profunder. Ich bin gezwungen, das Kind zu schaukeln und mich meinen Dämonen alleine zu stellen, damit ich mir integer bleibe. Ich spiegle meinen ganzen „Hintergrund“ und die Menschen, die ich so sehr vermisse, sind in diesen Momenten bei mir, die Form, die sie mir mitgaben, wird spürbar, wenn ich etwas von mir preisgebe, mich „vorstelle“. Das sind Aspekte der Herkunft, der Identität, die einem bei aller Flexibilität, die heute verlangt wird, so etwas, wie eine vage "Richtung" auf das weisen, was möglich ist. Ein bisschen, wie bei der Szene aus  „Der König der Löwen“, in der sich Simba in dieser Umgebung wiederfindet, in die er identitätenlos ist und sein verstorbener Vater auftaucht und ihn an genau diese wieder erinnert, indem er sagt, dass er zu etwas anderem bestimmt sei und nicht vergessen solle, wer er ist.

Deswegen war es auch richtig, „im schönsten Moment zu gehen“, denn ich wäre Gefahr gelaufen, mich auszuruhen und mich wieder darauf zu verlassen, dass ich meine Probleme mit anderen teilen kann, was prinzipiell überhaupt nichts Schlechtes ist, aber anders, als im Kreise liebender Menschen, bin ich hier erstmal zu einer selbstständigen Integrität gezwungen. Ich glaube, das macht viel aus.


Beim Lesen wird mir im Nachhinein klar, wie ängstlich ich war und deshalb wieder auf der Suche nach einer entschreckenden Formel, die ich mir mit diesem Text selbst gegeben habe. Aber: Glücklicherweise sollte ich recht behalten. ;) JG