Montag, 24. März 2014

Unas estimaciónes

(Geschrieben etwa Ende Februar über einen Ausflug Ende Januar)


Vom nahenden Frühling, von Besuchen der Realität, vom Tourismus und von Momenten gelben Glücks, und vom unstillbaren Heimweh


Die Frage ist nur, wo wir anfangen…



Achja. Langsam, aber stetig, hält der Frühling hier Einzug. Es fing an mit den Mandelbäumen, die entlang der Küste bereits Anfang Februar zu blühen begannen. In weißen und rosanen Blüten stehende Bäume zieren seither die Umgebung. Gleich zu Anfang hatte Ángel mich mitgenommen auf eine Tour ins Landesinnere, wo der Mandelanbau in viel größerem Maßbetrieben wird, als hier, an der Küste. Von Jávia fuhren wir ins Landesinnere und kamen an kleinen Dörfern vorbei, beinahe unberührt vom an der Küste wütenden Tourismus. Alte Herren in Hemdblusen, auf Bänken im Schatten eines Olivenbaumes sitzend, die sich unterhalten. Alte Damen mit Kopftüchern und Schürze, die von der Straße über den Fenstersims mit ihren Nachbarinnen sprechen, eine Tüte Orangen in der Hand.  Solche Bilder sind es, die Außenstehenden das Bild schnell vermitteln, hier „sei die Welt noch in Ordnung“, hier auf dem Land, wo man sich resistenter erweist gegen Einflüsse von Globalisierung und Technik. Und doch sind es letzte Bastionen, denn viele Häuser hier stehen leer und jüngere Generationen haben den Weg an die Küste gefunden, die mehr Arbeitsplätze verspricht. Darüber jedoch, dass die Leute starke soziale Strukturen haben, in denen sie auch im Alter aufgehoben sind, kann hier wiederrum auch nichts hinwegtäuschen.
  


Wir fuhren weiter ins Landesinnere und Ángel erzählte mir ein bisschen über die Geschichte der Orte, wie die Mauren die Landwirtschaft hier vorangetrieben haben. Ihnen sei zum Beispiel neben Bewässerungssystemen auch das Terrassensystem  zu verdanken, das den Ackerbau auf hügeliger Landschaft vereinfachte. Sie wurden hier einheimisch und lebten jahrelang friedlich mit den Christen zusammen haben in den Dörfern und auf dem Land, bis ihre Vertreibung beschlossen wurde und sie versklavt und vertrieben wurden.  Man schaut sich die Terrassen, die heute noch bestehen an, kann sich kaum vorstellen, wie lange es her ist, dass hier der erste Stein gelegt wurde, kann kaum begreifen, was geschehen ist. Die Gegend hier ist sehr nah an Geschichte dran und ihrer sehr reich. Man kommt an vielen Ruinen vorbei; alte Bauernhäuser, verlassen vor vielen Jahrzehnten. Weiter oben kamen wir zu einem kleinen Brunnen, an dem wir unsere Flaschen auffüllten. Wie zuvor, bei Besuchen in Österreich oder Süddeutschland, ergab sich mir der Eindruck, dass es in bergigen Landschaften, oder auch solchen, die schlichtweg schwer erreichbar sind, leichter ist, dem Einfluss von Modernisierung und Globalisierung standzuhalten und alte Lebenswelten zu konservieren – was ein Fluch und ein Segen zugleich ist. Ich glaube nicht dass es eine Mentalitätsfrage ist; würden diese Dörfchen an der Küste stehen, hätten sie die besten Teile ihres Grunds bereits an Hotelketteninhaber und Tourismusgesellschaften  verkauft – so, wie alle anderen auch­­. Und doch: Weil sie kein Teil davon geworden sind, verlieren diese Dörfer ihre Kinder an diese Maschinerie.



Auch liegt das alles an der Art des Tourismus´ hier. Im Winter ist hier wenig los und zwar so wenig, dass nicht nur viele Häuser, sondern auch Restaurants und Bars geschlossen haben. Das liegt an der finanziellen Lage, aber der Eindruck, dass die Einheimischen es nicht so sehr wert sind, wie die Touries, besteht. Teilweise besteht außerdem dieses Bild, womit örtliche Traditionenund Mentalitäten bis zur Unkenntlichkeit zum Klischee übermalt werden, teilweise ist es den Verantwortlichen, wie den Reisenden hier auch einfach egal und man pflanzt hier ein Hochhaus hin nennt es Hotel, serviert abends englisches Steak und bietet Rundreisen auf Deutsch zum Natrurresortim balinesischen Stil an. Ich habe Leute erlebt, denen direkt am Meer ihr Weißbarsch aus der Bucht serviert wurde, den Rioja im Glas, die Sonnenbrille noch auf dem Kopf, die sich beschwerten, dass der Kellner kein Deutsch spricht. Wie oft habe ich hier schon Residenten getroffen, die nach ihrer Pensionierung hierhin ziehen, die kein Spanisch lernten, es noch nicht einmal versuchten, weil sie hier ihren sozialen Kreis in ganz und gar deutschen Clubs fanden, mit Oktoberfesten und Flamenco zu Weihnachten. Außerdem die Ruinen, des Baubooms: Skelette großer Hotelanlagen und Ferienhäuser, seitdem das Geld fehlt verlassen und zunehmend verkommend. Stellen im Berg, die weggesprengt wurden, damit man für einen noch besseren Blick aufs Meer bauen konnte, mittlerweile ein leeres, penibel viereckig klaffendes Loch. Dennoch hängt hier alles vom Tourismus ab und mögen viele Leute ihm mit großem Unbehagen begegnen, ist es doch einer der letzten Zweige, an denen Spanien sich im großen Krisenstrudel festhalten kann. 

Wie dem auch sei- eine gewisse Diskrepanz zwischen Einheimischen und Ausländern lässt sich relativ leicht nachvollziehen. Ich weiß, dass es nicht von ungefähr kommt, wenn man sich weigert, mit mir auf Castellano zu sprechen, weil das Valencianonunmal die Kultursprache hier ist. Wenn man mir mit offener Abweisung begegnet, weil ich deutsch bin, oder ein Wort falsch benutzt habe. Ich habe nicht das Recht, zu behaupten, es ziele auf die Falsche, weil ich ja immerhin als Praktikantin hier sei und nicht als Touristin. Ich bin zu kurz hier und mir kann nur der oberflächliche Blick reichen, um zwischen Kultur und Tourismusgeschmiere zu unterscheiden oder mich als Mitwirkende in einer deutschen Zeitung nicht als Teil des Ganzen zu zählen, wieso sollten sie zwischen mir und jedem Tourie unterscheiden. 

Der gute Wille schützt mich nicht. Ich wünschte manchmal, er täte es. Denn am Ende des Tages hatte ich schon das Bedürfnis, die Sonne und das Meer wieder gegen Regen und Kälte einzutauschen. Erst so weit und so lange von zuhause weg, bekomme ich richtig zu spüren, was Sprache bedeutet. Dass es nicht nur in einer bestimmten Form und Reihenfolge aneinandergereihte Worte sind, die Kenner wie einen Code blitzschnell entschlüsseln und darauf antworten können, war mir nach fünf Jahren Germanistikstudium schon klar. Doch was für ein unglaubliches und gleichzeitig unmerkliches Vertrauen es schafft, diese auch in Bezug auf Körpersprache, Tonfall, Mimik und alles dazwischen, was Sprache ausmacht, zu verstehen, ist gleichsam erstaunlich und, weil es schon immer da war, auf seltsame Weise selbst-verständlich. Gesagtes einschätzen zu können, zu reflektieren, über einen minimal gleichen Erfahrungshorizont zu verfügen ist ein von mir bisher unterschätzter Teil der Identität gewesen.

Ich könnte dazu noch ellenlange Ausführungen machen, wenn ihr mich ließet, aber wir wollen heute ja auch mal fertig werden!

Wir fuhren durch die atemberaubende Gegend und hielten mal hier, mal dort, mal was länger, mal kürzer, weil Ángel Fotos vom Gebirge, von Ruinen, usw. usf. machen wollte. Irgendwann pflanzte ich mich auf eine Wiese voller Gänseblümchen in die Sonne, ein laues Lüftchen wehte und der ganze Scheiß mit dem Umzug, dem Heimweh, dem Portemonnaie, der Fremdenfeindlichkeit und was sonst noch in den letzten Tagen schiefgelafen war, war mir total schnurz, denn ehrlich: Nur für solche Momente lohnt sich alles und noch mehr. Das macht es alles wert. Es ist, als würde man mit jedem Atemzug Kraft tanken und Zuversicht gewinnen. Es hinterlässt mich mit der Überzeugung, dass ich ein Glückskind bin und vielleicht habe ich damit das geknackt, was ich in der Einleitung dieses Textes angesprochen habe.

Als wir dann endlich ein paar blühende Bäumchen fanden, durfte ich wieder Deutsche-Ottonormal-Residenten-Model spielen und kam mir dabei vor, wie das Mädel aus der Mon-Cherié-Werbung aus den 90ern.

"Nur mit der Piermont-Kirsche"


Wird mir lange in Erinnerung bleiben, dieser Tag.